Auf einem Thron sitzt Du entspannt

Auf einem Thron sitzt Du entspannt

Wie Bewusstheit und Entspannung zusammenhängen

 

Wenn man die bekannten Yogaschriften durchforstet, wie zum Beispiel Patanjalis Yoga Sutra, wie  die Hatha Yoga Pradipika und die Gheranda Samhita, genauso Schriften aus dem religiösen Yoga wie die Bhagavad Gita  oder die tantrischen Yogaschriften wird die/der Leser*in nicht einmal das Wort „Entspannung“ finden.
Weder das Wort noch Methoden zur Entspannung tauchen auf.

Man findet Begriffe wie Konzentration (Dharana), Meditation (Dhyana), Gewahrsein, Aufmerksamkeit, Samadhi (Erleuchtungszustand, Enstase), Bewusstheit (Cit) und bewusste Intelligenz (Caitanya), reines Bewusstsein (Purusha) und Hingabe (Bhakti).

Vielleicht trifft der Begriff „Vairagya“, also „Loslassen“, aus Patanjalis Yoga Sutra noch am ehesten das, was wir uns unter Entspannung vorstellen. Patanjali definiert Yoga als einen Zustand, der von allem Denken vollkommen frei ist. Diesen erreiche man durch „Übung“ (Abhyasa) und „Loslassen“ (Vairagya). Doch was soll man „loslassen“? Es ist ein Loslassen vom Streben nach allen Phänomenen um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Kein Erreichen-Wollen, kein Streben mehr nach Gedanken oder dem Nichtdenken, nach Erkenntnissen, Bildern, Vorstellungen oder körperlichen Erfahrungen. Keine Suche, kein „Hinarbeiten“ auf Entspannung.

Alles soll losgelassen werden um nur noch eines zu sein: präsent.

Die Idee, dass es im Yoga um Entspannung geht, und wie man sich am effektivsten entspannt, kommt also in den Schriften nicht vor.

Yoga ohne Entspannung? Aber das ist doch das Wichtigste!
Deshalb bin ich doch zum Yoga gekommen: Um mich endlich zu entspannen!

Das ist auf den ersten Blick verwirrend und scheint uns in unserem Yogaverständnis nicht nachvollziehbar.

Sprechen wir heute und die Schriften damals eigentlich vom gleichen Thema?

Wir wollen Entspannung und stattdessen empfehlen sie „Konzentration“, „Gewahrsein“ und „Bewusstheit“.

Was bedeutet Bewusstheit?

Und was hat das mit Entspannung zu tun?

Alle Hinweise und Techniken, die wir in diesen Schriften finden, dienen dazu, dass der Mensch sich seiner selbst bewusst wird.
Über den Körper zum Beispiel.  Und das machen wir in jeder Yogastunde.
Wir sind ganz im Körper. Wir spüren unsere Kraft. Wir spüren Stabilität. Und Anstrengung.
Jede Balancehaltung braucht unsere ganze Konzentration – all unsere Aufmerksamkeit ist im Körper.
Jede Position hat eine Abfolge im Aufbau. Sie wird nicht willkürlich – irgendwie – eingenommen. Die Reihenfolge der Schritte in und aus der Position halten ebenfalls unsere Aufmerksamkeit in unserem Körper – in uns.
Jeder Schritt, jede Position, jede „Übung“ ist eine Einladung in unser Körperbewusstsein.

Oder über den Atem – ebenfalls ein Phänomen, ein Prozess des Körpers:
Man spürt die Ausdehnung bei der Einatmung.
Ein Lockerlassen bei der Ausatmung.
Man spürt das kühle Einströmen des Atems in die Nase, das weiche und warme Ausströmen.
Man ist sich seiner Einatmung bewusst.
Der kleinen Pause danach.
Der Ausatmung und wiederum der kleinen Pause danach.

Alle diese Techniken, egal ob Asana (also Körperpositionen) oder Pranayama (Atemübungen bzw. Atembewusstsein) holen die Aufmerksamkeit in den Körper und verankern sie dort.

Und genau darüber sprechen alle Yogaschriften. Sie zeigen dem Menschen, wie man den Fokus auf den Körper richtet und dort hält. Wie man sich seines Atems, seines Körpers und seiner Gedanken bewusst wird.

Es geht also bei allen Methoden, Techniken immer um Bewusstsein.
Sich seiner selbst bewusst zu sein.

In dem Augenblick, in dem ich mich selbst spüre, mir meiner bewusst bin, werde ich still.
Mein Atem wird mir bewusst, dann beruhigt er sich.

Die Gedanken werden mir bewusst, dann beruhigen sie sich.

Probiere das mal aus. Setz Dich hin, nimm Deinen Körper war und nach wenigen Minuten fühlst Du Dich nicht mehr unruhig und getrieben, sondern in Dir verankert.

In diesem Augenblick steigst Du auf Deinen Thron.

Warum Thron?

Wenn ich mir meiner bewusst bin, bin ich nicht mehr „außer mir“.
Ich nehme mich war und unterbreche unbewusste Reaktionsmuster.

Angenommen ich führe ein Gespräch und mein Gegenüber ist nicht einer Meinung mit mir. Er argumentiert, beleidigt mich vielleicht sogar, will mich überzeugen oder meine Meinung gar als lächerlich darstellen
Solange meine Aufmerksamkeit bei ihm ist, solange ich mich in seine Argumentation und Gefühle reinziehen lasse, fühle ich mich gedrängt zu handeln, zum Beispiel indem ich dagegen argumentiere.

Ich gehe also raus aus meiner Selbstbewusstheit und bin beim anderen.  Meine Gedanken überschlagen sich und suchen nach einer schnellen Lösung. Ich fühle mich gedrängt zu antworten oder anderweitig zu handeln. Nach einem solchen Gespräch fühle ich mich k.o.  – oder „gestresst“.

Oder ich habe ein Projekt, das ich unbedingt heute, in zwei Stunden, in zehn Minuten oder sofort fertig stellen möchte.

Kennst Du das, dass Du erst ausatmest, nachdem Du etwas Anstrengendes oder Herausforderndes geschafft hast? Dass Du erst aufs Klo gehst, wenn etwas erledigt ist?
Dieser Drang ein Ziel zu erreichen kann unglaublich stark sein.

Und in diesen Augenblicken verlässt man seinen Thron, man regiert nicht mehr sein Leben, sondern re-a-giert.

Man ist „außer sich“.

Setz Dich also zurück in Deinen „Körperthron“, spüre Dich selbst bei allem, was Du tust.
Nimm Deine Füße am Boden wahr, wenn Du gehst,
Deinen Po auf dem Stuhl,
Deine Hände, die den Stift halten, Deine Finger, die die Tastatur berühren.

Spüre Deinen Bauch.

Er atmet.

Du atmest.

Es atmet.

Atem ist da.

Bewusstheit ist da.

In Gesprächen nimm Deinen Atem wahr, während Du zuhörst. Oder nimm Deine Füße am Boden wahr. Nimm das, was Du am besten spüren kannst.

Und erstaunlicherweise bleibst Du entspannt.

Du hast Zeit. Zeit für eine Antwort. Zeit für eine Entscheidung.

Du ruhst in Dir. Du sitzt auf Deinem Thron und regierst Dein Leben.

Viel Spaß dabei,

Susanne